
Wirklich vereinfachen: Die Prinzipien der Retail-Transformation

Der diesjährige Handelskongress Deutschland in Berlin stand unter einem Motto, das den Nerv der Zeit trifft: Simplify Retail. Kaum ein Begriff beschreibt präziser, womit der Handel ringt. Komplexität ist zum Symptom unserer Zeit geworden – sie umgibt Unternehmen, fordert sie heraus und bremst ihre Wirkung. Deshalb ist Simplify Retail nicht nur ein Kongressmotto, sondern ein strategisches Prinzip, das zum Mantra maximaler Wirksamkeit werden muss.
Komplexität ist das Problem – und Komplexität verhindert, dass Probleme klar aufgebrochen und wirksam gelöst werden können. Ein Paradoxon – wie also vorgehen, wo ansetzen, wo anfangen? In diesem Beitrag wird beleuchtet, wie das Schreckgespenst Komplexität im Handel beherrschbar wird – und welche Prinzipien dabei den Unterschied zwischen organisatorischer Überforderung und echter, wirksamer Vereinfachung ausmachen.
Klar, Vereinfachung beginnt mit dem Mut, Überflüssiges wegzulassen. Wirkung entsteht durch Fokus statt Vollständigkeit. Und Prioritäten sind nur dann etwas wert, wenn sie auch gehalten werden. Simplify heißt nicht weniger tun – es heißt, das Richtige tun.
Komplexität in Sortimenten verstehen
Sortimente sind in vielen Handelsunternehmen über Jahre gewachsen – oft gut gemeint, aber selten konsequent gepflegt. Das Ergebnis ist eine Artikelstruktur, in der Rollen unklar bleiben, Prioritäten verwischen und die Vielfalt eher vermehrt als verbessert wird. Wo Kern-, Profil- und Impulsartikel nicht eindeutig voneinander abgegrenzt sind, verliert das Sortiment an Relevanz. Sortimente präsentieren häufig eine Vielzahl ähnlicher Produkte – ein „more of the same“, das keinen spürbaren Mehrwert schafft.
Gleichzeitig fehlt in vielen Organisationen die Transparenz über Drehzahlen, Spannen, Aktionen oder Abschriften, um Entscheidungen sicher und faktenbasiert zu treffen. Hinzu kommen gewachsene Filialportfolios, individuelle Sortimentsanpassungen und zusätzliche Absatzkanäle, die das Gefüge weiter verkomplizieren.
Ein weiterer Faktor ist die fehlende Abstimmung zwischen Einkauf, Vertrieb und Marketing: Sortimentsentscheidungen, PoS-Umsetzung und Kommunikation werden nicht gemeinsam gedacht und geplant, sodass das Sortiment in der operativen Umsetzung an Klarheit und Konsequenz verliert.
Ansatzpunkte und Best Practices
Wirksame Vereinfachung beginnt mit einer klar strukturierten Sortimentsarchitektur, die Rollen, Ziele und Entscheidungslogiken verbindlich definiert. Sie bildet die Grundlage dafür, Sortimente nicht breiter, sondern schärfer zu gestalten. Moderne Performance-Tools schaffen dafür den notwendigen Überblick, indem sie Transparenz über Drehzahlen und Wirtschaftlichkeit bieten und Category Manager durch Alerts und automatisierte Empfehlungen unterstützen.
Eine konsequente ABC-Analyse hilft, Sortimente gezielt zu bereinigen und Redundanzen abzubauen, während kanal- und filialbezogene Sortimentsregeln die operative Umsetzung stabilisieren.
Die Praxis zeigt, wie stark die Effekte sein können: Händler erzielen mit 10–20 Prozent weniger Sortiment oft denselben Umsatz, erhöhen die Full-Price-Sell-Through-Rate um bis zu 5 Prozent und reduzieren Bestände durch cross-funktionale Boards um rund 10 Prozent – bei gleichzeitigen Rohertragssteigerungen von bis zu zwei Prozentpunkten. Steigt der Automatisierungsgrad weiter an, lassen sich Entscheidungen schneller treffen, konsistenter ausrollen und mit weniger Aufwand steuern.
Komplexität in Prozessen verstehen
Die Prozesslandschaften vieler Handelsunternehmen sind heute geprägt von zahlreichen Schnittstellen, unklaren Verantwortlichkeiten und hohen manuellen Anteilen. Entscheidungswege sind komplex, Freigabestrukturen langsam, Abläufe uneinheitlich und häufig regional unterschiedlich ausgestaltet. Medienbrüche und fehlende Systemintegration sorgen dafür, dass Informationen mehrfach erfasst oder manuell korrigiert werden müssen – ein zusätzlicher Aufwand, der unmittelbar auf Qualität, Geschwindigkeit und operative Stabilität wirkt.
Die Ursachen dieser Prozesslast liegen in einer über die Jahre entstandenen Vielfalt an Kunden-, Sortiments-, Artikel- und Lieferantenkonstellationen sowie historisch gewachsenen Prozessvarianten und Sonderfällen. Alte Individuallösungen wurden nie konsequent zurückgebaut, hinzu kommen Ad-hoc-Prozesse, die aus der Not heraus als schnelle Lösungen eingeführt wurden und anschließend nicht mehr hinterfragt wurden.
Besonders im Lebensmitteleinzelhandel entsteht zudem eine hohe operative Heterogenität: Sie wird vor allem durch die unterschiedliche Prozesslogik einzelner Sortimente geprägt, etwa zwischen haltbarem Trockensortiment und besonders sensiblen Bereichen wie Frische oder Obst & Gemüse. Unterschiedliche Taktungen, Dispositionslogiken und Belieferungsarten – von Zentrallager über Regionallager bis hin zu Cross-Docking oder direkter Belieferung – verstärken diese Komplexität zusätzlich.
Ansatzpunkte und Best Practices
Wirksame Prozessvereinfachung beginnt mit einer klaren End-to-End-Betrachtung, die Verantwortlichkeiten, Rollen und Schnittstellen eindeutig definiert. In vielen Organisationen sind Verantwortlichkeiten eng an bestehende Strukturen gebunden, sodass sie strikt entlang der Linienlogik definiert werden – und es schwerfällt, Prozessowner zu benennen, deren Verantwortung über Bereichs- und Abteilungsgrenzen hinausgeht. Standardisierte Abläufe und reduzierte Variantenvielfalt bilden die Grundlage dafür, operative Stabilität zu schaffen und Prozessschwankungen zu minimieren.
Abweichungen vom Standard müssen dabei stets strikt durch einen klaren Business Value begründet werden – nach dem Prinzip „so wenig wie möglich, so viel wie notwendig“. Automatisierung kann erst dann ihre Wirkung entfalten, wenn Prozesse bereinigt, logisch aufgebaut und konsequent auf eine einheitliche Datenbasis ausgerichtet sind. KPI-gestütztes Monitoring schafft Transparenz über Durchlaufzeiten, Qualität und Engpässe und ermöglicht faktenbasierte Entscheidungen anstelle individueller Einschätzungen.
Best Practices zeigen, dass Händler mit klar zugeordneten Prozess-Ownern, verbindlichen Governance-Strukturen und einer „Single Source of Truth“ für Stamm- und Bewegungsdaten deutlich effizienter arbeiten. Regelmäßige Prozess-Reviews und systematische Variantenbereinigungen verhindern, dass Sonderfälle und Altlösungen erneut Komplexität aufbauen. Das Ergebnis sind weniger manuelle Tätigkeiten, höhere Prozessqualität, schnellere Durchlaufzeiten und eine Organisation, die Veränderungen leichter bewältigt und operativ stabiler wird.
Komplexität in Organisationen verstehen
Ähnlich wie Prozesse sind auch Organisationsstrukturen historisch gewachsen – aus zahlreichen Anpassungen und internationalen Erweiterungen. Das Ergebnis sind mehrdimensionale Strukturen mit vielen Ebenen, überlappenden Verantwortlichkeiten und Schnittstellen zwischen Bereichen, Ländern und Funktionen. Entscheidungsrechte sind oft unklar verteilt: Einkauf, Vertrieb, Marketing, Supply Chain und E-Commerce verfolgen eigene Ziele und Optimierungslogiken. Im Ergebnis: Silos, hohe Meeting-Dichte und schier endlose Abstimmungsschleifen.
Gleichzeitig spiegeln viele Organisationen die operative Vielfalt des Geschäfts eins zu eins wider. Sonderlogiken in Sortimenten oder Prozessen erzeugen zusätzliche Rollen, Boards oder Ausnahmen – Strukturen wachsen im Schatten der Komplexität. Historisch gewachsene Landes-, Format- oder Markeneinheiten arbeiten häufig mit eigenen Tools, Governance-Logiken und Rollenbildern. Führungsspannen sind klein, Hierarchieebenen zahlreich, die Steuerungsstruktur ist überfrachtet mit KPIs, Reports und Gremien. Dadurch entstehen langsame Entscheidungswege, unklare Verantwortlichkeiten und ein Organisationsdesign, das mehr Kompliziertheit erzeugt, als Komplexität absorbiert.
Ansatzpunkte und Best Practices
Eine wirksame Organisationsvereinfachung beginnt mit einem klaren Operating Model, das festlegt, wer für welche Entscheidungen verantwortlich ist – entlang von End-to-End-Wertströmen statt entlang der Kästchen. Klare Entscheidungsrechte, harmonisierte Rollenprofile und ein „Single Accountable Owner“ für kritische Entscheidungen schaffen Geschwindigkeit und reduzieren Abstimmungen. Führungsspannen werden erweitert, Ebenen reduziert und Strukturen dort entschlackt, wo sie keinen Wertbeitrag liefern.
Starke funktionsübergreifende Integratoren – etwa Category Boards, Format Boards oder Omnichannel-Steering-Einheiten – ersetzen kleinteilige Gremien und schaffen echte Zusammenarbeit zwischen Einkauf, Vertrieb, Marketing und Supply Chain. Wenige, klar definierte Steuerungsgremien mit eindeutiger Agenda und Mandat sorgen für Orientierung statt Meeting-Inflation. Eine einheitliche Datenbasis als „Single Source of Truth“ stärkt Transparenz und verhindert parallele Reportings oder Schattenstrukturen.
Gleichzeitig braucht es eine Governance, die konsequent verhindert, dass Sonderlocken wieder in die Organisation einziehen: klare Kriterien für Ausnahmen, regelmäßige Reviews von Rollen, Aufgaben und Gremien sowie ein konsequentes Abschalten nicht wertschaffender Strukturen. Das Ergebnis ist eine Organisation, die schneller entscheidet, konsistenter arbeitet und Komplexität dort absorbiert, wo sie entsteht – statt sie weiterzugeben.
Wie Komplexität entsteht – und wie Simplify Retail sie bricht
Komplexität entsteht nicht aus einer bewussten Entscheidung heraus. Sie wächst schleichend – durch gut gemeinte Erweiterungen, nicht hinterfragte Ausnahmen, gewachsene Abläufe und organisatorische Anbauten.
Simplify Retail setzt genau hier an. Es ist nicht die Optimierung einzelner Elemente, sondern die Fähigkeit, ein gesamtes System wieder auf Klarheit, Fokus und Wirksamkeit auszurichten. Wer Sortimente konsequent schärft, Prozesse stabilisiert und Organisationen klar führt, schafft einen gemeinsamen Ordnungsrahmen: weniger Varianten, weniger Sonderlogiken, weniger Abstimmungsschleifen – dafür mehr Geschwindigkeit, mehr Konsistenz und mehr Ergebniswirksamkeit.
Am Ende ist Simplify Retail kein Projekt, sondern ein Prinzip. Und es macht den Unterschied zwischen einem Unternehmen, das von Komplexität getrieben wird – und einem, das seine Wirkung zurückgewinnt.
Bereit, Komplexität hinter sich zu lassen?
Ob Sie erste Impulse diskutieren oder konkrete Veränderungen anstoßen möchten – wir begleiten Sie. Mit einem Blick von außen, präzisen Fragen und tiefem Verständnis für Handel und Konsumgüter schaffen wir gemeinsam Klarheit über die wirkungsvollsten Hebel.
In einem unverbindlichen Gespräch zeigen wir auf, wo Sie heute stehen, welche Schritte als Nächstes Sinn ergeben und wie Vereinfachung zum echten Wettbewerbsvorteil wird.
Together we simplify.
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Ob erste Gedanken oder konkrete Pläne – wir hören zu, fragen nach und entwickeln gemeinsam weiter. In einem unverbindlichen Erstgespräch klären wir, wo Sie stehen und wie wir Sie unterstützen können.







